Nach einer mehr als 11-monatigen Entwicklungszeit hat das openSUSE-Projekt pünktlich am 12. November 2009 Version 11.2 seiner Linux-Distribution veröffentlicht, bei der die „leichte“ Anhebung der Versionsnummer von 11.1 auf 11.2 nicht darüber hinwegtäuschen sollte, dass viele neue Funktionen eingeführt und alte verbessert wurden.
Die meiner Meinung nach wichtigsten Änderungen sind das Fallenlassen von KDE3 und die Entscheidung, KDE4 als Standardarbeitsfläche der DVD-Installation zu setzen. Ob dieser Entscheidungen war das Aufheulen in manchen Bereichen der Linux- und openSUSE-Gemeinde groß. KDE3-Nostalgiker verbreiten immer noch die Hiobsbotschaft, dass KDE4 nicht an KDE3 heranreichen würde, während die GNOME-Fraktion befürchtet, ihre bevorzugte Arbeitsumgebung würde demnächst innerhalb des openSUSE-Projekts vernachlässigt.
Früher war alles besser – die KDE3-Nostalgiker
Als im Januar 2008 KDE 4.0 veröffentlicht wurde, waren viele KDE-Nutzer enttäuscht, da einige Funktionen aus KDE3 in der neuen Version fehlten, besonders was die Arbeitsfläche anging. Darüber hinaus wurde die angeblich mangelnde Stabilität der neuen Arbeitsflächen-Shell namens Plasma kritisiert. Man kann sicherlich endlos darüber streiten, ob es nun besser ist, früh und oft neue Funktionen zu veröffentlichen, oder ob man lieber eine konservative Veröffentlichungspolitik betreiben sollte. Aber dabei sollte bei KDE nicht vergessen werden, dass gleichzeitig ja noch KDE3 zur Verfügung stand, von dem im August des selben Jahres Version 3.5.10 veröffentlicht wurde, also noch nach der Veröffentlichung einer neuen Hauptversion Pflege für die vorhergehende Version betrieben wurde. Ein Monat zuvor war außerdem KDE 4.1 erschienen, das viele Kritikpunkte ausräumte und auch wichtige Anwendungen wie Kontact, KMail und andere aus dem Bereich der persönlichen Informationsverwaltung in nativen Versionen für KDE4 mit brachte.
Damit wären wir bei einem weiteren Faktor, der den Übergang erleichterte, nämlich der problemlosen parallelen Nutzung von KDE3 und KDE4, insbesondere unter openSUSE. Version 11.0 und 11.1 boten beide Arbeitsflächen zur Installation an, wobei noch nicht portierte Programme unter KDE4 von ihren KDE3-Pendants vertreten wurden. Daran wurde allerdings wieder bemängelt, dass die Integration der jeweiligen Programme in die andere Umgebung unschön sei. Realistisch gesehen geschieht dies aber ständig. Auch Firefox intgriert sich nicht nahtlos in KDE – seine GNOME-Anbändelei lässt sich nicht verbergen. Und trotzdem nutzen ihn viele Nutzer auch unter KDE, weil sie ihn einfach für das bessere Programm halten. Dazu muss noch gesagt werden, dass das openSUSE-KDE-Team für openSUSE 11.2 viel Arbeit in eine bessere Integration von Firefox in KDE4 investiert hat, deren Ergebnis sich sehen lassen kann.
Mit Version 4.0 machte KDE neugierig auf Mehr, mit Version 4.1 war es gut nutzbar, 4.2 beeindruckte durch die Entwicklungsgewschwindigkeit auf der neuen Plattform und die aktuelle Version 4.3 sollte einen KDE3 rasch vergessen lassen. Warum aber hält sich die Kritik so hartnäckig? Warum werden auch Version 4.3 teilweise immer noch Dinge vorgeworfen, die schon seit 4.1 nicht mehr der Realität entsprechen?
KDE4 war nie als nahtlose Fortsetzung von KDE3 gedacht, sondern brach bewusst mit alten Traditionen. Es sollte ein neues KDE entstehen, keine aufgehübschte Version von KDE3. Dabei fanden die größten Änderungen unter der Haube von KDE statt, wo viele Techniken ausgetauscht (bspw. DCOP durch D-Bus) und neue (wie Plasma, Solid, Phonon usw.) eingeführt wurden. Vor allem Version 4.0 enttäuschte so manchen beim ersten Anblick, da gerade oberflächlich noch mehr fehlte als man Neues zu sehen bekam. Dabei legte gerade diese Version den Grundstein für die schnelle Entwicklung die darauf folgte. Auch KDE3 wurde nicht an einem Tag eraschaffen, sondern entwickelte sich evolutionär weiter. Mit seinen veralteten Techniken befand sich KDE3 in einer Sackgasse, aus der es auch die größten KDE4-Kritiker nicht mehr heraus führen können. Da war es nur konsequent, einen von Grund auf neu aufgebautes KDE zu entwerfen.
Man wird einfach nicht das Gefühl los, dass sich ein Großteil der Kritiker vor allem selber produzieren wollte. Da wurde nachgeplappert, was man irgendwo gehört oder gelesen hatte, da wurden ständig Funktionen vermisst, die nur eine Minderheit benutzt hat und ganz grundsätzlich wollte man einfach nicht akzeptieren und/oder verstehen, dass hier etwas ganz Neues am Entstehen war. Die KDE-Entwickler haben den Mut bewiesen, etwas Neues zu schaffen, bei dem man direkt dabei sein konnte. Man konnte die Evolution von KDE4 mit jeder neuen Version förmlich greifen. Es ist einfach ungemein spannend, ein so lebendiges Projekt erleben zu können.
Aber mit dem Schlachtruf „Früher war alles“ besser zogen die KDE3-Nostalgiker ins Felde, um jede Nachricht zu KDE4 damit zu kommentieren, wie schlimm das doch alles sei und das man KDE3 doch lieber hätte weiterentwickeln sollen. Das ist anmaßend. Niemand hätte sie davon abgehalten, KDE3 abzuzweigen und weiter zu entwickeln – man hätte sie höchstens ausgelacht. Aber warum sollten Entwickler freier Software sich den Wünschen bornierter Fortschrittsverweigerer beugen? Die Welt lässt sich nicht zurückdrehen – und wenn es möglich wäre, wäre sie totlangweilig.
Glücklicherweise hat sich die Dynamik des KDE-Projekts von all dem nicht bremsen lassen. KDE 4.3 ist eine wahre Pracht und ich, der ich KDE4 begeistert seit Version 4.0 benutze, freue mich schon auf Version 4.4 und auf das, was damit möglich sein wird. Es mag ja sein, dass einige Funktionen von KDE3 anfangs nicht verfügbar waren, manche es immer noch nicht sind und andere nie wieder in der Form in KDE4 vorhanden sein werden. Aber dafür hat man viele tolle andere Dinge bekommen, wie das bereits erwähnte Plasma, Phonon, Solid, Plasmoids, Nepomuk, Strigi, KWin-Effekte, D-Bus-Anbindung und vieles mehr. Natürlich, die Nostalgiker brauchen all das nicht, denn sie sind vor allem dann glücklich, wenn sie der Welt beweisen können, dass sie ohne Fortschritt auskommen.
Klar hat Fortschritt nicht nur gute Seiten, manchmal klappt noch nicht alles sofort und man muss sich vielleicht auf neue Ideen und Konzepte einstellen, aber er lässt sich nicht aufhalten.
Für all die Heulsusen, die in openSUSE 11.2 ihr geliebtes KDE3 vermissen: Niemand wird daran gehindert, openSUSE 11.1 zu nutzen, das noch bis Ende 2010 samt KDE3 unterstützt wird. Danach ist dann Schluss und der Fortschritt wird KDE3 danken und es in den Orkus der Geschichte verabschieden. Und damit steht openSUSE nicht alleine.
Trostpflaster
Als kleines Trostpflaster gibt es für all die, die KDE3 nachtrauern, ja auch noch die Möglichkeit, KDE4 annährend so aussehen zu lassen, wie KDE3 aussah.
Wie man sieht, lässt sich auch KDE4 beliebig den eigenen Bedürfnissen anpassen, was auch Drittprogramme wie Amarok betrifft (dessen Entwickler ebenfalls die Gunst der Stunde genutzt haben, um etwas Neues zu schaffen).
Therapie
Liebe KDE3-Nostalgiker, gebt euch also mal einen Ruck, springt über euren eigenen Schatten und kostet vom Fortschritt – er ist verführerisch…